Donnerstag, 28. Juni 2012

Toleranz

Unsere Gesellschaft ist so furchtbar tolerant. Sie ist so tolerant, dass Menschen massenweise auf die Straßen gehen, um gleiche Rechte für alle zu fordern, freie Entfaltung, freie Liebe. Um heute zu der schlauen, aufgeklärten Generation zu gehören, ist es selbstverständlich, Homosexualität zu tolerieren, meinetwegen auch gut zu finden. Wir nehmen Rücksicht aufeinander, bieten den Vegetariern auf der Grillparty Tofuwürstchen an, den Muslimen schweinefleischlose Alternativen - alles aus Respekt und Toleranz.
Doch wer entscheidet, was toleriert wird, und was nicht? Wieso behauptet man von sich, offen und loyal zu sein, und verhält sich dann trotzdem so?
Manche Leute haben eben nicht nur die Sonnenseiten des Lebens kennengelernt. Dadurch tragen sie Narben - ob unsichtbar oder sichtbar. Nur wo ist die Toleranz geblieben, wenn sich solch eine Person entblößt, die Jacke ausszieht und als Reaktion darauf angegafft wird, wie ein Zootier? Wenn plötzlich getuschelt und genuschelt wird? Haben es solche Leute nicht auch verdient, toleriert zu werden?
Ganz ehrlich, genau DAS ist der Grund, weshalb ich bisher immer meine Narben versteckt hatte. Ich hatte eine Zeit, da war es mir egal. Da trug ich T-Shirts und Shorts und die Meinung der anderen hat mich einen Dreck interessiert. Doch mittlerweile geht es mir wieder nahe, wie andere Leute über mich denken. Was sie von mir denken. Und weil einfach jedesmal auf diesen von mir eigentlich mutigen und positiven (ich habe es besiegt!) Schritt eine dumme Reaktion folgt, habe ich es gelassen. Ich habe einfach keine Lust auf sowas.
Vielleicht ist es einfach eine Frage der Gewöhnung, ich weiß es nicht. Vielleicht kann man die Blicke irgendwann an sich abprallen lassen, ohne dass es irgendeine Bedeutung hat.
Ich hoffe es.

Oder einfach nochmal die Zeit zurückdrehen und alles anders machen...

  

... aber dann wäre ich nicht die Person, die ich jetzt bin. Mit der Lebenserfahrung. Ich glaube es hat schon alles seinen Sinn.

6 Kommentare:

  1. Hmm ... ich denke, bei jedem Menschen ist irgendwo mal eine Grenze erreicht - so tolerant er auch sein mag.

    Ich z.B. würde nicht tuscheln, wenn ich jemanden mit Narben sehen würde - wer weiß woher er sie hat und man möchte doch nichts böses sagen.
    Doch wenn ich z.B. weiß, dass sich dieser Jemand selbst verletzt hat, dann toleriere ich so etwas nicht. Man kann ein schlimmes Leben haben und so etwas trotzdem nicht tun (seh ich ja immer wieder an mir). Klar, jeder Mensch tickt anders und so etwas kann auch eine Krankheit sein ... aber vielleicht kann ich so etwas nicht tolerieren, weil ich es nicht verstehe! Ich muss sagen, ich habe in meinem Leben schon eine Menge durchmachen müssen und bin gerade erst einmal 18. Ich hatte schlimme Gedanken, die soweit gingen, dass ich mich selbst umbringen wollte - doch mein Verstand sagte mir "nein".
    Vielleicht liegt es auch daran, dass mein klarer Verstand mich vor alledem bewahrt hat. Ich verurteile solche Menschen, nicht ... aber ich toleriere Selbstverstümmelung auch nicht. Ich tuschele nicht hinter dem Rücken anderer, sondern gehe auf sie zu und frage nach. Und ich denke mal, wenn alle Menschen so in diese Richtung gehen würde, wären wir schon einen ganzen Schritt weiter.

    http://malu-wild-spirit.blogspot.de/

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  2. Jeder Mensch geht anders mit Problemen um. Ich finde, man kann und sollte nicht vergleichen, wem es schlechter geht, wer damit besser umgehen kann / konnte oder wie auch immer - Fakt ist einfach, dass es mir mal sehr schlecht ging, ich damals eben keinen andere Lösung des Problems fand und nun eben Narben habe, die nie wieder weggehen werden. Das dazu.

    Ich finde, ich kann eigentlich schon stolz darauf sein, das hinter mir gelassen zu haben. "Selbstverstümmelung" zu tolieren, darum geht es nicht. Es geht darum, auch Leute, die eben nun Narben tragen, weil sie eben Probleme damit in der Vergangenheit hatten, genauso das Recht haben, toleriert (im Sinne von akzeptiert) zu werden, wie andere Menschen auch. Nicht angegafft zu werden. Abgestoßen, abgewidert.
    Und schließlich konnte ich durch meine Vergangenheit sehr viel über mich und andere lernen.

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  3. Ja, Toleranz ist eine wirklich schwierige Sache. Ist es auch wirklich gut, tolerant allem gegenüber zu sein? Das finde ich nicht... Aber man sollte den Menschen an sich annehmen und sich nicht selbst versuchen höher zu stellen, indem man andere erniedrigt.

    Lena

    http://the-perfectly-imperfect.blogspot.de

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  4. schöner text. regt einem zum nachdenken an :)

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  5. ich weiß nicht ob man meine damalige Situtuion mit deiner vergleichen kann aber ich wurde früher nicht akzeptiert. Weil ich mich anders verhielt als andere und aus den Augen der Anderen nicht hübsch war :P
    Jahrelang hatte ich irgendwie Probleme mich selbst zu lieben weil jeder immer das Gegenteil sagte und es mir zeigte. Bis ich verstanden habe dass nicht das Äußere zählt sondern das Innere. Es ist wichtig das man sich selbst akzeptiert innerlich und das strahlt man dann irgendwie aus und die anderen akzeptieren einen irgendwie dann automatisch.
    Anfangs dachte ich nicht das es funktioniert aber nach einer Weile veränderte sich meine Umwelt mit mir und niemand sah mich mehr schräg an und jeder akzeptierte mich.
    Mag sein das der Tipp doof ist (XD das dachte ich anfangs auch). Es kommt nie darauf an wie der Körper aussieht sondern was einen von innen ausmacht :)

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    1. schön gesagt :) da steckt wirklich etwas Wahres drin!

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