Unsere Gesellschaft ist so furchtbar tolerant. Sie ist so tolerant, dass Menschen massenweise auf die Straßen gehen, um gleiche Rechte für alle zu fordern, freie Entfaltung, freie Liebe. Um heute zu der schlauen, aufgeklärten Generation zu gehören, ist es selbstverständlich, Homosexualität zu tolerieren, meinetwegen auch gut zu finden. Wir nehmen Rücksicht aufeinander, bieten den Vegetariern auf der Grillparty Tofuwürstchen an, den Muslimen schweinefleischlose Alternativen - alles aus Respekt und Toleranz.
Doch wer entscheidet, was toleriert wird, und was nicht? Wieso behauptet man von sich, offen und loyal zu sein, und verhält sich dann trotzdem so?
Manche Leute haben eben nicht nur die Sonnenseiten des Lebens kennengelernt. Dadurch tragen sie Narben - ob unsichtbar oder sichtbar. Nur wo ist die Toleranz geblieben, wenn sich solch eine Person entblößt, die Jacke ausszieht und als Reaktion darauf angegafft wird, wie ein Zootier? Wenn plötzlich getuschelt und genuschelt wird? Haben es solche Leute nicht auch verdient, toleriert zu werden?
Ganz ehrlich, genau DAS ist der Grund, weshalb ich bisher immer meine Narben versteckt hatte. Ich hatte eine Zeit, da war es mir egal. Da trug ich T-Shirts und Shorts und die Meinung der anderen hat mich einen Dreck interessiert. Doch mittlerweile geht es mir wieder nahe, wie andere Leute über mich denken. Was sie von mir denken. Und weil einfach jedesmal auf diesen von mir eigentlich mutigen und positiven (ich habe es besiegt!) Schritt eine dumme Reaktion folgt, habe ich es gelassen. Ich habe einfach keine Lust auf sowas.
Vielleicht ist es einfach eine Frage der Gewöhnung, ich weiß es nicht. Vielleicht kann man die Blicke irgendwann an sich abprallen lassen, ohne dass es irgendeine Bedeutung hat.
Ich hoffe es.
Oder einfach nochmal die Zeit zurückdrehen und alles anders machen...
... aber dann wäre ich nicht die Person, die ich jetzt bin. Mit der Lebenserfahrung. Ich glaube es hat schon alles seinen Sinn.